Kinder leiden, wenn Eltern ihre Rolle nicht kennen

Kinder leiden, wenn Eltern ihre Rolle nicht kennen

„Kinder sind wie Spiegel – sie zeigen uns nicht nur, wer wir sind, sondern auch, wer wir sein könnten.“ 

Kinder spüren intuitiv, wenn etwas in ihrer Familie nicht stimmt. Wenn Eltern ihre Rolle als Erwachsene und Bezugspersonen nicht bewusst ausfüllen, bleibt diese Unsicherheit nicht ohne Folgen.

Viele Kinder erleben Verwirrung, emotionale Vernachlässigung oder sogar Traumata, noch bevor sie selbst die Worte dafür finden. Doch warum passiert das? Welche Typen von Eltern kennen ihre Rolle nicht? Und wie können Kinder und Eltern diesen Kreislauf durchbrechen?

Welche Eltern wissen ihre Rolle nicht?

Elternschaft ist mehr als nur ein biologisches Band. Sie bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, emotionale Sicherheit zu geben und klare Grenzen zu setzen.

Doch nicht jeder Erwachsene ist dazu bereit oder fähig. Wir können verschiedene Typen von Eltern erkennen, die ihre Rolle nicht kennen:

Unreife Eltern

Unreife Eltern sind selbst noch nicht in ihrer emotionalen Entwicklung angekommen. Sie handeln impulsiv, sind launisch und erwarten von ihren Kindern Rücksicht auf ihre Stimmungen.

Statt Sicherheit zu geben, erzeugen sie Unsicherheit. Kinder solcher Eltern wachsen in einem Klima der Unbeständigkeit auf und fühlen sich selbst verantwortlich, Stabilität in die Familie zu bringen.

Eltern mit Suchtproblemen (Alkohol oder Drogen)

Wenn Eltern von Alkohol oder Drogen abhängig sind, steht die Sucht meist im Mittelpunkt des Familienlebens.

Das Kind erlebt, dass die Substanz wichtiger ist als seine Bedürfnisse. Diese Eltern sind oft unzuverlässig, schwanken zwischen Nähe und Distanz oder verfallen in Aggression.

Kinder aus solchen Familien entwickeln starke Schuldgefühle und ein tiefes Bedürfnis, „die Familie zusammenzuhalten“. Gleichzeitig fehlt ihnen die Erfahrung von Sicherheit und Beständigkeit.

Psychisch instabile Eltern

Eltern mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Psychosen können ihre Rolle nur eingeschränkt wahrnehmen.

Sie schwanken zwischen Überforderung, Rückzug und manchmal unberechenbarem Verhalten. Kinder wissen nie, ob Mama oder Papa heute stark genug sind, um da zu sein.

Deshalb übernehmen sie oft Verantwortung, die nicht ihrem Alter entspricht, und lernen, ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken.

Verantwortungslos handelnde Eltern

Manche Eltern entziehen sich bewusst ihrer Verantwortung: Sie kümmern sich kaum um den Alltag, nehmen die Bedürfnisse des Kindes nicht ernst oder schieben die Erziehung auf andere ab.

Kinder solcher Eltern erleben Vernachlässigung, ein Gefühl von „nicht wichtig sein“ und müssen schon früh selbstständig werden. Oft entsteht dabei eine Mischung aus Rebellion und dem tiefen Wunsch nach Anerkennung.

Narzisstische Eltern

Narzisstische Eltern stellen ihre eigenen Bedürfnisse, Anerkennung und Kontrolle in den Vordergrund. Das Kind wird nicht als eigenständige Person gesehen, sondern als „Verlängerung“ des Elternteils.

Es wird benutzt, um das Ego der Eltern zu stärken – durch Leistung, Gehorsam oder Anpassung. Das führt dazu, dass Kinder lernen: „Ich bin nur dann wertvoll, wenn ich funktioniere.“

Überprotektive Eltern

Diese Eltern meinen es oft gut, überschreiten jedoch ständig die Grenzen des Kindes.

Sie lassen kaum Eigenständigkeit zu, kontrollieren jede Entscheidung und vermitteln dem Kind unterschwellig: „Du bist nicht stark genug, alleine etwas zu schaffen.“

So entsteht Angst vor Selbstständigkeit und ein geringes Vertrauen in die eigene Kompetenz.

Gewaltvolle oder missbräuchliche Eltern

Hier geht es nicht nur um körperliche Gewalt, sondern auch um emotionale und verbale Misshandlung. Kinder erleben ständige Abwertung, Drohungen oder Demütigungen.

Statt Sicherheit erfahren sie Angst. Solche Erfahrungen können tiefe Traumata hinterlassen und das Selbstwertgefühl dauerhaft beschädigen.

Abwesende Eltern

Manche Eltern sind durch Arbeit, neue Partnerschaften oder schlichtes Desinteresse kaum im Leben ihrer Kinder präsent.

Auch wenn sie nicht unbedingt absichtlich verletzen, fehlt die stabile Bindung, die Kinder für ihre Entwicklung dringend brauchen.

Kinder solcher Eltern fühlen sich oft unsichtbar und entwickeln ein starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.

Kinder Leiden, Wenn Eltern Ihre Rolle Nicht Kennen(1)

Eltern, die Kind und Elternrolle vertauschen („Parentifizierung“)

Manche Eltern erwarten, dass ihr Kind für sie da ist – emotional oder sogar praktisch. Das Kind wird zur „Vertrauten“ der Mutter oder zum „Partnerersatz“ für den Vater.

Es übernimmt Aufgaben, die nicht altersgerecht sind, und lernt nie, wirklich Kind zu sein. Dies führt später oft zu Schuldgefühlen und Schwierigkeiten, gesunde Beziehungen aufzubauen.

Chaotische oder inkonsequente Eltern

Sie haben keine klare Struktur, wechseln ständig ihre Meinung und reagieren unberechenbar.

Einmal streng, dann wieder gleichgültig – für Kinder ist dieses Verhalten nicht einzuordnen. Es entsteht Unsicherheit, weil sie nie wissen, was richtig oder falsch ist.

Warum Kinder darunter leiden

Kinder sind von Natur aus abhängig. Sie brauchen emotionale Sicherheit, um Vertrauen, Selbstwert und Resilienz zu entwickeln. Wenn Eltern ihre Rolle nicht kennen, entstehen mehrere negative Konsequenzen:

  • Emotionale Unsicherheit: Kinder wissen nicht, ob sie geliebt werden, wenn sie ihre Gefühle ausdrücken.
  • Verzerrtes Selbstbild: Sie lernen, dass ihre Gefühle oder Bedürfnisse falsch oder störend sind.
  • Verantwortungsübernahme für Eltern: Kinder übernehmen unbewusst die Rolle des Erwachsenen, was zu Stress, Angst und Schuldgefühlen führt.
  • Probleme in Beziehungen: Wer nie echte Sicherheit erlebt hat, hat oft Schwierigkeiten, Vertrauen aufzubauen.

Ein Kind, das ständig auf Signale seiner Eltern reagieren muss, lernt nicht, eigene Grenzen zu setzen. Es wächst in der Annahme auf, dass Liebe verdient werden muss, nicht bedingungslos existiert.

Können Kinder heilen, wenn die Familie dysfunktional ist?

Ja, Heilung ist möglich – auch wenn die Wunden tief sind. Kinder (und Erwachsene) können lernen, eigene Emotionen zu erkennen, anzunehmen und gesunde Beziehungen zu gestalten.

  • Selbstbewusstsein entwickeln: Kinder und Jugendliche können lernen, ihre Gefühle zu benennen und zu verstehen. Therapeutische Unterstützung oder Achtsamkeitsübungen helfen dabei.
  • Grenzen setzen: Es ist wichtig zu erkennen, dass die Eltern ihre eigenen Probleme haben, die nicht die Schuld des Kindes sind. Ein gesundes „Nein“ kann Schutz bieten.
  • Positive Vorbilder suchen: Beziehungen zu unterstützenden Erwachsenen, Freunden oder Mentoren können neue Sicherheit und Vertrauen vermitteln.
  • Selbstfürsorge üben: Hobbys, kreative Ausdrucksformen, Sport oder Meditation helfen, innere Stärke aufzubauen.

„Es ist nie zu spät, das Kind in sich selbst zu umarmen, das nie die Sicherheit bekommen hat, die es brauchte.“ 

Wie können Eltern sich bewusst werden?

Eltern, die erkennen, dass sie ihre Rolle nicht richtig ausfüllen, können Schritte zur Veränderung unternehmen:

  • Selbstreflexion: Sich fragen, wie die eigene Kindheit die aktuelle Elternrolle beeinflusst. Welche Ängste, Unsicherheiten oder Muster wiederholen sich?
  • Emotionale Bildung: Lernen, Gefühle zu erkennen, zu benennen und angemessen zu reagieren. Bücher, Workshops oder Therapie können helfen.
  • Kommunikation üben: Aktiv zuhören, Emotionen ernst nehmen, eigene Fehler zugeben.
  • Grenzen respektieren: Das Kind ist ein eigenständiger Mensch. Eltern sollten seine Individualität anerkennen und fördern.
  • Unterstützung suchen: Paartherapie, Familientherapie oder Elterntrainings können helfen, alte Muster zu erkennen und zu verändern.

Fragen, die Eltern sich stellen sollten

  1. „Wie reagiere ich, wenn mein Kind verletzt oder traurig ist?“
  2. „Lasse ich mein Kind seine eigenen Gefühle erleben, oder versuche ich, sie zu kontrollieren?“
  3. „Übertrage ich meine eigenen Ängste und Bedürfnisse auf mein Kind?“
  4. „Höre ich meinem Kind wirklich zu, wenn es mir etwas erzählt?“
  5. „Sehe ich mein Kind so, wie es ist – oder wie ich es gerne hätte?“
  6. „Gebe ich meinem Kind das Gefühl, wertvoll zu sein, auch wenn es Fehler macht?“
  7. „Bin ich in der Lage, mich bei meinem Kind zu entschuldigen, wenn ich einen Fehler gemacht habe?“
  8. „Erwarte ich von meinem Kind, meine eigenen unerfüllten Träume zu leben?“
  9. „Reagiere ich mit Geduld oder eher mit Kritik, wenn mein Kind etwas nicht gleich versteht?“
  10. „Schaffe ich eine Atmosphäre, in der mein Kind sich sicher fühlt, über alles zu sprechen?“
  11. „Unterscheide ich klar zwischen meinen eigenen Gefühlen und denen meines Kindes?“
  12. „Unterstütze ich mein Kind in seiner Selbstständigkeit, oder klammere ich mich zu sehr an es?“
  13. „Bin ich emotional erreichbar, wenn mein Kind Nähe sucht?“

Fazit

Wenn Eltern ihre Rolle nicht kennen, tragen Kinder die Last. Sie erleben emotionale Unsicherheit, übernehmen Verantwortung für das Unmögliche und entwickeln ein verzerrtes Selbstbild.

Doch sowohl Eltern als auch Kinder können lernen, sich zu verändern und zu heilen. Eltern, die sich ihrer eigenen Muster bewusst werden und aktiv an ihrer Rolle arbeiten, schaffen die Grundlage für gesunde Entwicklung.

Kinder, die lernen, ihre Gefühle zu erkennen und Grenzen zu setzen, können die Verletzungen der Vergangenheit überwinden.

Es erfordert Mut, Bewusstsein und Unterstützung – aber Heilung ist möglich. Kinder sind widerstandsfähiger, als wir oft denken. Mit der richtigen Begleitung können sie nicht nur überleben, sondern aufblühen.